Mirjam Rosentreter moderiert mit Mikrofon, Kopfhörern und Popschutz

Folge 4

Spektrakulär Sonderfolge: „Festhalten auf der Eisscholle“ – Unterwegs auf der Autismus- Bundestagung

Erscheinungstermin: 19.03.2024, Autorin: Mirjam Rosentreter

Intro

Musik: (Joss Peach: Cherry On The Cake, lizensiert durch sonoton.music)

Sprecher: Spektrakulär – Eltern erkunden Autismus.

Mirjam Rosentreter: (Host) Hallo, mein Name ist Mirjam Rosentreter. Ich bin Journalistin, Mutter eines Sohnes im Autismus Spektrum, und ich mach das hier nicht alleine – bei mir ist Marco Tiede.

Marco Tiede: (Co-Host) Moin! Ich bin auch Vater eines Jungen im Spektrum. Und ich arbeite als Therapeut und auch als Berater.

Mirjam: Es gibt zu dieser Folge auch eine Kurzversion, unseren Kurzpod Spektrakulär. Das Manuskript zu dieser Folge findet ihr auf unserer Seite spektrakulaer.de.

Intro-Ende: Musik + Geräuscheffekt (Klapper)

Einblendung Atmo-O-Ton: (Grußworte der Bremer Bildungssenatorin Claudia Schilling) …am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Ich wünsche Ihnen einen anregenden Kongress, mit vielen Ideen und Begegnungen, die Sie bereichern und die Sie mit nach Hause nehmen… (Ausblendung)

Mirjam: Guten Morgen, Marco.

Marco: Ja, Hallo. Sind wir jetzt schon mittendrin, oder bist du noch im Vorgeplänkel?  

Mirjam: Wirsind mittendrin bei mir im Studio und wir waren mittendrin auf der Bundestagung Autismus 2024, dem großen Autismus-Kongress, in Bremen dieses Mal…

Einblendung Atmo-O-Ton: (Ende Grußworte Schilling, Applaus, Ausblendung)

Mirjam: 1400 Leute, hab‘ ich gehört, waren dabei.

Marco: Jo. Und mich hat es dann zwischendrin leider gesundheitlich etwas ausgeknockt, so dass ich dann nur beschränkt dabei war. Nä, du hast ja dann das Gespräch mit Tebartz van Elst allein aufgenommen…

Mirjam: Das euch als nächste Podcast-Folge erwartet! Und unsere ganzen Gespräche, die so am Rande stattgefunden haben – mal Marco und ich zusammen, und dann ich alleine als Reporterin unterwegs auf der Messe, durch die Hallen, vor den Vortragsälen lauernd, oder auch mal auf dem Hotelzimmer mit Christine Preißmann, damit wir ein bisschen mehr Ruhe hatten, die wollen wir euch in den nächsten Tagen auf unserer Website spektakulaer.de nach und nach präsentieren.

Marco: Ja.

Mirjam: Ich bin immer noch ganz voll von den Eindrücken. Also, jetzt wo wir das aufzeichnen, ist die Tagung genau eine Woche her. Es ist Freitag, und vor einer Woche Freitag hat sie mittags begonnen…

Marco: Hmm. Und ich war auch sehr beeindruckt von den Gesprächen, die du geführt hattest mit Christine Preißmann, mit Hajo Seng, weil die doch zum Teil auch sehr persönlich waren und gleichzeitig auch sehr viel Lebensweisheit ausstrahlten von beiden, nä? Wie sie so auch mit bestimmten Dingen umgingen. Und wie du eben tatsächlich sogar auch die Fragen stelltest, die mir im Hinterkopf schwirrten, wo ich so dachte: Fragst du das auch noch? Und dann fragtest du das tatsächlich! Und das waren sehr schöne Gespräche, die ich da hören konnte. Und freu mich auch, dass die dann bald für andere zu hören sind.  

Mirjam: An dieserStelle einmal an alle, die uns zuhören: Wir freuen uns natürlich – ein bisschen dichter dran ans Mikro, ich hab mich grad so entspannt zurückgelegt – also, alle, die uns zu hören: Wir freuen uns natürlich auch, wenn ihr uns Feedback gebt. Also, Dankeschön Marco!
Jetztheutebei unserer Rückblicksfolge, bei unserer Sonder-Podcast-Folge zur Bundestagung wollen wir euch ein paar Ausschnitte davon auch einspielen. Leider beherrsche ich die Technik meines tollen Podcast-Geräts noch nicht so gut, eigentlich könnte man die da auch mit so Tasten – übrigens auch irgendwelchen fremden Applaus und so sehr elegante Studio-Musik – einspielen. Aber das muss ich noch lernen. Ich hab‘ ja fünf Jahre Zeit. Unser Podcast wird ja fünf Jahre gefördert. So, aber euch erwarten auf jeden Fall auch ein paar Ausschnitte aus dem Material, das Marco teilweise schon kennt und dass ich einmal durchgehört habe und jetzt schneide, schneide, schneide – also, ich schneid‘ nicht alles raus! Keine Sorge! Ihr werdet schon das meiste davon zu hören bekommen.
Und diejenigen von euch, die uns zuhören und die ganze Zeit sich vielleicht fragen: Häh, Bundestagung? Autismus-Kongress, was ist das überhaupt? Müssen wir auch erst mal mit dazuholen. Die wollen wir ja besonders gerne dabei haben. Denn, das ist ja unser Anliegen, dass die Themen, die auf solchen Tagungen besprochen werden, die uns Eltern angehen, die Fachkräfte angehen und natürlich die autistischen Menschen, dass die auch zugänglich gemacht werden für die Leute da draußen, die vielleicht gar nicht so viel mit Autismus zu tun haben oder es denken, sie haben nichts zu tun. Kannst du mal versuchen zusammenzufassen, was das ist, diese Bundestagung, die alle paar Jahre stattfindet? 

Marco: Also, die Bundestagung von autismus Deutschland, auch manchmal Autismus-Kongress genannt, findet, meine ich, alle drei Jahre statt, in verschiedenen Städten, dieses Jahr in Bremen. Mit dem Motto: Arbeit Lebenszufriedenheit und…

Mirjam: Beruf. Nee, Moment, ich guck einfach nochmal drauf: Bildung, Beruf, Lebenszufriedenheit.

Marco: Ja.

Mirjam: Der Tagungsband ist auch schon raus, ein dicker Klotz, den hab ich hier neben mir liegen.

Marco: ja, das sind immer recht dicke Wälzer die Tagungsbände. Und das ergibt dann eine relativ große Themenvielfalt, wo es um frühe Therapiemethoden geht, aber auch um Therapiemöglichkeiten für Erwachsene. Auch um ne Art Pilotversuche, wo es dann barrierefreier zugänglich ist, weil es ja, wie bekannt, nicht nur unter Autisten, sondern auch für Nicht-Autisten schwer ist, an Therapien und Psychotherapie aller Art zu kommen, meist verbunden mit langen Wartelisten. Und es ging aber auch um Forschungen in Sachen Autismus, um gesellschaftliche Themen. Und ein großer Fokus lag auf dem Bereich Bildung und Arbeit. Wir hatten ja auch ein kurzes Gespräch mit einem Referenten, der auch selbst als Schulbegleitung gearbeitet hat oder arbeitet, immer noch arbeitet. Warst du auch bei dem Schulbegleiter- Vortrag drin von Fabian Hoff?

Mirjam: Nee, aber den haben wir ja getroffen…

Marco: Den haben wir ja persönlich gesprochen…

Mirjam: An unserem Stand. Das war eine tolle Situation. Lass uns da vielleicht gleich einsteigen, das war ja auch relativ zu Beginn.
Aber vorher, wo ich dir gerade mal ganz in Ruhe zugehört habe – hast du sehr schön erklärt übrigens – fällt mir auf, und euch vielleicht auch, wenn ihr die anderen Folgen gehört habt: Der Ton heute, also vor allen Dingen Marcos Ton ist eventuell etwas besser. Ich hab‘ ja gerade schon gesagt, mein Gerät muss ich noch etwas kennenlernen, und anscheinend auch die Mikros. Wir benutzen Nieren-Mikros, die sind ganz professionell und ziemlich gut. Man muss allerdings wissen, wie rum man sie reinsteckt. Und das letzte Mal war das Mikro von Marco und von unserem Gast, von Ella, verkehrt herum. Also, da ist so ein kleiner silberner Punkt, der muss vorne sein, und das richtete sich nach hinten. Und deswegen haben wir eure beiden Stimmen aufgenommen, und dann musste ich sie so hoch pegeln. So, ein kleines, technisches Detail. Aber jetzt hör ich über meine Kopfhörer ganz deutlich, du bist klar… 

Marco: Also, ich kling‘ heut nicht mehr, als ob ich mich im Kleiderschrank verstecke und aus dem Hintergrund spreche.

Mirjam: Man hört noch ein bisschen, dass du einen Schnupfen hattest.

Marco: Ja.

Mirjam: Aber, das bist du ja auch aus Rücksicht dann auf Abstand gegangen während der Tage.
Also, Fabian Hoff hatten wir gerade. Das war so eine Begegnung, gehen wir mal mitten rein. Also, wir hatten da einen Stand vom Martinsclub Bremen, zusammen mit den Leuten von Selbstverständlich Arbeit, die für den Martinsclub Menschen aus dem Autismus Spektrum, aber auch mit anderen Behinderungen, helfen, in Arbeit zu kommen, also auf dem ersten Arbeitsmarkt einen tollen Job zu finden.

Marco: Begleiten, unterstützen, ja, Hmm, ja.

Mirjam: Da macht auch Bianca, die ihr aus der ersten Folge bei uns im Podcast kennt, ganz vorne mit. Sie ist für die Autistinnen und Autisten zuständig – können wir gerne auch in den Shownotes verlinken. Und wir waren mit am Martinsclub-Stand, unser brandneues Rollup-Poster war da – für Spektakulär, unseren Podcast, Eltern erkunden Autismus – wir hatten schön unsere neuen Flyer, standen da mit unseren auffälligen T-Shirts, Orange und vorne unser Logo drauf. Und dann kamen natürlich auch Leute auf uns zu, und dann kam – also, ich kam grad von einem Vortrag, und du warst schon mitten im Gespräch mit Fabian…

Marco: Ja.

O-Ton Fabian Hoff: (eingeblendet) Ich hab’n Buch geschrieben über Autismus und Schulbegleitung, und ich möchte unbedingt – also, ich benutze so ein, ich benutze das Eisbär-Modell, so nenne ich das…

O-Ton Mirjam:Das kommt uns bekanntvor.

O-Ton Marco:Wienennst du das?

O-Ton Fabian:Eisbär-Modell.

O-Ton Marco: Ach, Aja!

O-Ton Fabian: Um zu erläuterten, wie das mit der Erschöpfung und sowas ist bei autistischen Menschen.

O-Ton Marco: Also, über das Eisberg-Modell hat auch eine unserer Gäste…

O-Ton Fabian: Nee, nicht Eisberg, sondern nur Eisbär!

O-Ton Marco: Ach, Eisbär!

O-Ton Mirjam: Ist dann der Eisbär der Autist?

O-Ton Fabian: Ja, genau. Der sitzt aber auf ner Eisscholle, und der muss so durchs Meer navigieren.

O-Ton Marco: Ah, okay!

O-Ton Fabian: Und je anstrengender das wird, desto schräger steht die Eisscholle im Wasser.

O-Ton Marco: Ja.

O-Ton Fabian: So. Und je schräger die Eisscholle im Wasser steht, desto mehr muss er sich natürlich festhalten, desto weniger kann er dann noch irgendwie auch auf die Situation einwirken und so. (Ausblendung)

Marco: Fabian selbst ist auch Schulbegleiter und hat eben dort auch einen Vortrag gehalten zum Thema Schulbegleitung. Und das Interessante ist, dass Fabian selbst auch im Spektrum ist, das also eben aus der Perspektive begleiten kann, also nochmal anders begleiten kann, weil er sich vielleicht auch mehr in die Wahrnehmungswelt seiner zu begleitenden Schüler und Schülerinnen einfinden, einfühlen kann. Wobei, mal davon abgesehen, dieses Konstrukt von im Spektrum, nicht im Spektrum ja auch noch mal von einem anderen Referenten interessanterweise infrage gestellt wurde. Aber vielleicht dazu später.

Mirjam: Dazu kommen wir, dazu kommen wir.

Marco: Jedenfalls, weil wir so über Wortwahl sprachen, nä, so dieses: Ist es politisch korrekt, „Autist“ zu sagen? Weil ich das mal im Vortrag gefragt wurde, weil ich auch relativ selbstverständlich über „Autisten, Autistinnen“ spreche. Und er sagt: Naja, gut, das Gender-Thema ist ja das eine, dass man alle mitmeint – und wenn man uns näher kennt, weiß Mensch, dass wir alle mitmeinen – er benutzt dann eher Ausdrücke wie „Mensch mit Autismus“, „Person mit Autismus“ und schließt damit alle ein. Aber er selbst bezeichnet sich eben auch ganz robust als Autist. Und letztlich ist es dann ja auch eher zweitrangig, ob und wie Mensch sich bezeichnet, weil das dann so, so, äh – ich weiß nicht – so Scheindiskussionen am Rande sind. Wenn’s eigentlich darum geht, alle Menschen irgendwie zusammenzubringen, zu inkludieren und die gleichen Chancen zu bieten etcetera. Also, worum‘s ja eigentlich auch in der Tagung geht.
Was ich auch noch mal interessant fand, war auch meine Wahrnehmung – das hatte ich aus dem Interview von Hajo Seng gehört – dass wesentlich mehr Autistinnen und Autisten beteiligt waren in dieser Tagung. Ich war letzte Mal zwo 16 auf der Bundestag in Dresden, und da gab‘s nämlich ziemlich seltsame Eigenheiten, weil eben Autisten offenbar nicht beteiligt wurden, auch in den Referaten wenig vertreten waren. Wo es dann eine sehr heiß geführte Diskussion gab, weil es einen Vortrag gab, der sich damit befasste, ob Autisten empathisch genug sind, dass sie humanistische Ideale erfüllen können. Das war sehr, sehr schräg. Das war so ein, so’n. äh, ja, Philosoph? Wissenschaftler? Keine Ahnung. Der selbst wohl noch nie einen Autisten getroffen hatte und sich anmaßte darüber einen Vortrag zu halten. Aber er hat dann aber auch entsprechend von den dann doch dort vertretenen Autisten guten Gegenwind bekommen. Aber gut, das ist ja Jahre her. Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht verzettel, nä? (lacht).

Mirjam: (lacht)

Marco: Fabian. Ähm, Wort…

Mirjam: Dafür bin ich ja auch noch mit da. (lacht)

Marco: Wortfindung. Also, da ging es ja auch darum – ja, jetzt weiß ich wieder, worauf ich zurückwollte. Dieses: Sagt man „behindert“ oder „nicht behindert“? Letztlich hat er ja festgestellt, ist es ja eine Passivbezeichnung. Es ist ein Zustand, der einen von außen erfährt. Und das trifft es ja. Nä? Also, Mensch trifft auf Barrieren und ist dadurch behindert. Und das trifft ja auf Autisten und andere Menschen mit bestimmten Einschränkungen gleichermaßen zu. Also, das liegt ja immer – oder oft am Umfeld, nicht immer. Bianca hat auch schon mal hervorgehoben: Also, für die Sonne kann kein Mensch was. Mir ist die einfach zu hell. Ich brauch die Sonnenbrille und gut. Die ist auch was von außen, aber das kann kein anderer beeinflussen. Das kann nur ich beeinflussen, indem ich mir die Sonnenbrille aufsetze.

Mirjam: Gerade diese unterschiedliche Wahrnehmung, die es mir während der drei Tage sehr bewusst geworden. Es war zum Beispiel so, ich habe an einem der Stände bei uns in der Halle eine Frau kennengelernt und bin mit ihr ins Gespräch gekommen. Wir haben Adressen ausgetauscht, also Flyer ausgetauscht und sind dann gemeinsam zu einem Vortrag gegangen zu dem von Professor Zimpel aus Hamburg, der gerade über Neurodiversität dort auch einen Vortrag gehalten hat: Wie unterschiedlich wir die Welt wahrnehmen und wie gleich wir uns dabei sind. Mit unseren Reaktionen auf unterschiedliche Herausforderungen, dass wir uns da im Grunde eben gleichen. Wir sind eben alles Menschen, aber mit unterschiedlichen Konstitutionen.

Marco: Ja, ja, richtig.

Mirjam: Und dann merkte ich, dass ich meine Begleiterin zusehends überforderte…

Atmo-O-Ton: (Einblendung: Ankommen im Vortragssaal, Pausenmusik, Gemurmel – Atmo bleibt unter dem weiteren Text im Hintergrund zu hören und steht zwischendrin frei)

Mirjam: …durch meine Art, als Reporterin.

Atmo-O-Ton: (Mirjam) Darf ich mich dazusetzen? (Frau, schwerer zu verstehen) Eigentlich noch nicht. Kommt darauf an, wo Sie sitzen wollen.

Mirjam: Also, ich bin als Reporterin manchmal ziemlich hartnäckig.

Atmo-O-Ton: (Frau, schwerer zu verstehen) Lieber dritte Reihe, ganz vorne mag ich nicht.

Mirjam: Also, ich laber nicht auf die Leute ein, aber ich bin einfach mit dabei. Weil das mein Anliegen ist zu begleiten. Ich bin wie so ne Besucherin oder ne Mitreisende, nä? Und…

Marco: Hmmh.

Mirjam: …bin mit ihr gemeinsamen in den Saal rein.

Atmo-O-Ton: (Mirjam) Ich mach heute auch, ich mach auch Interviews hier für ne kleine Sonderfolge für die Bundestagung…

Mirjam: Und dann hatte ich auch ne Frage an meine Begleitung, wie ich dachte. Aber, sie wollte partout nicht…

Atmo-O-Ton: (Mirjam) Also, jetzt zum Beispiel?

Marco: Hmmh.

Mirjam: Also, sie: „Nein, ich will das nicht!“…

Atmo-O-Ton: (Frau) Nicht wirklich, nein.

Atmo-O-Ton: (Mirjam) Aber, kann auch anonym sein.

Mirjam: Aber ich wusste – im ersten Moment: Hubbs? Schroff! – aber, aber es war nicht schroff gemeint.

Atmo-O-Ton: (Ausblendung)

Mirjam: Ich hab sie dann, an den anderen Tagen, hab ich sie öfter mal gesehen. Sie war eine von den Menschen, die am Rande dieser Tagung – da sind so lange Flure, da laufen die Leute vorbei, da gehen die Getränkewagen, die Geschirrwagen, es klappert, Und Stimmen überall. Sie war eine von den Personen, die das Fenster aufgemacht haben – das ging zum Glück – und einfach nur irgendwie eine Fußspitze und das Gesicht so rausgehalten haben, um auf diesen weiten Platz zu gucken…

Marco: Hmm! Ja!

Mirjam: …vor dem Kongresszentrum in Bremen, wo zu der Zeit wenig los war.  Also, die Frau am Fenster. Und die anderen im Ruheraum. Also, hm, ich hab zwischendurch mit Bianca, die ja auch mit bei uns am Stand war, und die ihr aus der ersten Folge kennt, auch ein Interview am Rande geführt. Also, das hab ich dir noch gar nicht erzählt.

Marco: Doch, erzählt hast du’s, aber ich hab’s noch nicht gehört.

Mirjam: Ja. Ja, ja. Ich hatte so elf Fragen auch für unseren Stand Nummer elf aufgeschrieben – auch so ein bisschen nerdig, aber – wobei, die Zahl da nirgendwo stand an unseren Stand (schmunzelt). Naja.

Marco: Das wusste keiner. Ja, ja und…

Mirjam: Moment, ich wollte… Ruhephasen, ja. Also: Bianca war ganz heiß darauf, noch mal ein Gespräch aufzunehmen…

Marco: (lacht)

Mirjam: …in einer sehr skurrilen Situation. Weil da ja überall Menschen waren, und im Ruheraum, für Menschen, die wirklich mal abschalten wollen, zwischendurch natürlich kein Interview geführt werden kann, haben wir geguckt: Ja, wo kann man sich denn hinstellen, wo nicht so viel los ist? Und haben dann in dieser Aussteller-Halle, hinten rechts in der Ecke, hinter den Toiletten, so noch einmal ringsum ein stilles Plätzchen gefunden…

Atmo-O-Ton Mirjam: (Einblendung, Mirjam) Herzlich willkommen zum Blitzinterview in der Schmuddelecke der Ausstellungshalle, wo das Toilettenpapier gelagert wird! Wo ist dir Autismus zum ersten Mal im Leben begegnet?

O-Ton Bianca Bräulich: (lacht) So ganz persönlich? Bei meiner Geburt! (lacht)

O-Ton Mirjam:Was macht Autismus für dich persönlich aus?

O-Ton Bianca: Autismus macht für mich persönlich aus, dass ich in vielen Bereichen des Lebens, ganz andere Verarbeitungsstrukturen habe als andere Menschen, was dann positive und auch negative Faktoren mit sich bringt.

O-Ton Mirjam: Wie erklärst du Leuten, die Autismus nicht, kennen kurz und verständlich, was es ist?

O-Ton Bianca: Eine Wahrnehmungs-Verarbeitungs-Störung ist immer meine Einführung.

Atmo-O-Ton: (freistehend) Geräusche und Stimmen in der Tagungshalle

Mirjam: Und danach – also ich war selber auch voll von Eindrücken – hab ich Bianca dann in den Ruheraum gebracht. Tür auf…

Atmo-O-Ton: (freistehend) Tagungshalle, Türklinke öffnen

Mirjam: Tür zu. Und absolute Stille.

Atmo-O-Ton: (freistehend) Geräusche verebben, Tür schließt, Stille

Marco:Hmmh. Gut.

Mirjam: Und mir ging es dann so, wenn ich abends von diesen Tagungstagen mit dem Fahrrad zurück nach Hause gefahren bin durchs dunkle Bremen, dass ich auch viel reizoffener war, beziehungsweise abends dann diese doch stärkere Ruhe richtig in mich eingesogen habe. Und am nächsten Morgen dann wieder das pralle Leben. Also, die Wahrnehmung ist einfach geschärft worden, an diesen drei Tagen.

Marco: Ja.

Mirjam: Ging dir das auch so?

Marco:  Ja, sowieso. Beziehungsweise hab ich ja immer – möglicherweise – eine Anmutung dieser Unterschiede von Wahrnehmung, wenn ich mein Privileg nutze, meine Hörgeräte einfach abzuschalten, wenn’s mir zu viel wird, zu laut wird. Gern mache ich das eben auf Bahnhöfen, in Kaufhallen – hierzulande heißt es ja Supermärkte, ich komm aus dem Osten (Mirjam schmunzelt),deswegen heißt es bei mir Kaufhalle – und ich dann merke, äh, was das für ein Nachhall ist, wenn ich kurz in die Stille komm, durch die abgeschalteten Geräte. Und mutmaßlich es sich für Menschen im Spektrum dann potentiell, exponentiell noch viel, viel vielfältiger und lauter anhört, nä? Und Hajo Seng hatte das ja auch kurz erwähnt, als du ihn fragtest, wie er das Ganze wahrnimmt. Er sagte: Naja, ich fokussier mich gerade sehr hier auf das Gespräch – weil das hattest du ja hervorgehoben, dass er sehr fokussiert wirkt – aber gleichzeitig blende ich die anderen Gespräche, die ich sogar 10 Meter weiter noch mitbekomme aus, damit ich mich nicht thematisch damit auch noch befasse.

Mirjam: Er meinte ja, er kann sie nicht ausblenden, er muss sie dann irgendwie ja ignorieren.

Marco: Ja!

Mirjam: Also, das ist ja das dann dabei…

Marco: Das ist dann diese kognitive Leistung.

Mirjam: …was man sich kaum vorstellen kann. Ähm, ich bin ja auch Hörgeräteträgerin. Und wo du das gerade gesagt hast, fiel mir auf: wenn ich die Hörgeräte nachts nicht trage und dann morgens sie nicht gleich einsetze und sie dann einsetze oder umgekehrt abends, fällt mir auch so ne gewisse Isolation – das ist dann so die negative Seite davon – auf, wenn ich sie nicht in den Ohren habe.

Marco: Hmmh.

Mirjam: Das ist natürlich ein anderer Aspekt, wenn ein Mensch ständig mit Reizen beschäftigt ist, die auf ihn einströmen. Aber sich dann da mal kurz von abzuschirmen bedeutet aber eben auch eine Isolation, die einerseits unterstützt aber ja auch nicht immer freiwillig ist.

Marco: Ja.

Mirjam: Also, die man gar nicht – die man braucht in dem Moment.

Marco: Hmm hmm. Und das ist dann für uns dann nur die auditive Seite, die wir dann ausblenden. Und ich stell mir dann vor, wenn ich dann sag, das ist exponentiell mehr – sofern man das überhaupt so mathematisch ausdrücken kann – aber, ähm…

Mirjam: Im Umgangssprachlichen.

Marco: Im Umgangssprachlichen: vielfältig mehr. Und da geht’s dann ja nicht nur um auditive, sondern auch um sensorische Reize, um akustische – das ist ja auditiv, um äh – wie heißt das für die Augen? Um optische (lacht), optische Reize und vieles mehr. Die dann ja auch noch mitverarbeitet oder eben nicht verarbeitet und nicht gefiltert werden können. Und das, denke ich immer mal wieder, ist dann so schwer vorstellbar. Und ich dann immer wieder merke, wie wir da noch mal an die Empathie der nicht autistischen Menschen, der neurotypischen Menschen appellieren dürfen, dass sie sich das mal vergegenwärtigen. Um sich dann klarzumachen, wenn da bestimmte Einschränkungen vorhanden sind, dass das keine Laune ist, die dann dort auftritt, von wegen: Du hast jetzt keinen Bock, oder irgendwas? Nee, ich kann grad nicht anders!

Mirjam: Hmmh.

Marco: Das immer wieder zu verstehen. Obwohl eben – und da sind wir auch wieder bei dem Thema sehr unterschiedliche Fähigkeiten, die im Laufe eines Tages auftreten, das hatte auch Christine Preißmann kurz erwähnt – dass das eben keine gewollte Provokation dererseits ist, sondern: Das ist dann so. Sie können sehr eloquent über Dinge reden, währenddessen sie dann in bestimmten anderen Situationen bestimmte Reize nicht aushalten können, dann die Situation nicht weiter weiterverfolgen können, sich zurückziehen müssen oder anderweitig eingeschränkt sind. Nä? In der Orientierung, in dem Fokus der Handlungsplanung, sonst was.

Mirjam: Christine Preißmann ist Ärztin für Allgemeinmedizin – Dr. Christine Preißmann – also hat in Humanmedizin promoviert, Allgemeinmedizinerin ist sie mit Zusatzausbildung. Unter anderem hat sie eine Psychiatrieambulanz für Suchtkranke in der Nähe von Darmstadt geleitet und hat seit 2021 eine eigene Praxis für Psychotherapie, hauptsächlich für Erwachsene. Und davon hat sie mir in unserem Gespräch erzählt.

O-Ton Christine Preißmann: Ich merke einfach, dass es immer wieder Schwierigkeiten gibt im Kontakt mit anderen Menschen. Und wenn die anderen besser Bescheid wissen über meine Art, dass es eben auch keine bös… Boshaftigkeit ist, die mich den anderen gegenübertreten lässt, dann merke ich immer wieder, dass die eben auch anders mir gegenübertreten. Also, in der Klinik beispielsweise haben sie Kollegen irgendwann wirklich den Kontakt ganz anders gestaltet, als sie wussten, dass bei mir eine autistische Störung vorlag. Und ich hab gemerkt, sie nehmen mich nicht mehr, als boshaft, bösartig wahr. Das war mir wirklich sehr wichtig gewesen. Vorher hatten die immer den Eindruck, ich sei sehr, ja, penibel vielleicht auch, ja, wie soll ich sagen, ich hab die andern immer kritisiert, wenn sie zu einer Besprechung ein bisschen zu spät gekommen sind. Und das hat mir natürlich nicht so sehr viele Sympathien eingebracht. Und als die dann erfahren haben, dass das mein zugegebenermaßen ungeschickter Versuch war, in Kontakt zu kommen, konnten Sie das einfach ganz anders einschätzen und sind dann auch, ja, ganz gezielt auf mich zugegangen. Und dann hatten wir tatsächlich auch einen ganz schönen Kontakt miteinander gehabt.

O-Ton Mirjam: Und diesen Kontakt wünschen Sie sich natürlich eigentlich?

O-Ton Preißmann: Ja natürlich. Ich würde mir schon auch einen Menschen wünschen für ein gelegentliches Treffen. Ich würde mir einen guten Freund, ne Freundin wünschen. Ähm, ja, selbstverständlich. Nicht immer und nicht zu jedem, nicht in jedem Moment, aber doch immer mal wieder. Bei vielen autistischen Menschen ist es so, dass dieser Wunsch einfach erst dann kommt, wenn man tatsächlich all die anderen Fragen in seinem Leben für sich klären konnte. Bei vielen ist es so, dass während der Pubertät, während der Jugendzeit einfach die Schule noch so präsent ist, dass man gar keinen Kopf hat für all die anderen Dinge. Man muss sich darauf konzentrieren, die Schule irgendwie hinzukriegen.  Und ich erleb das auch immer wieder so. Gerade so das Schulende, der Beginn in den Beruf, in die Ausbildung, vielleicht auch in das Studium, das ist oft ne ganz schwere Krisenzeit für autistische Menschen und das ist oft auch die Zeit, in der sie dann auch zu mir kommen in meine Praxis.

Mirjam: Bei dem Gespräch mit Christine Reißmann war das so, bevor wir uns zusammen dann hingesetzt haben und geredet haben, die Ausgangssituation, wie wir da zusammengekommen sind…

Marco: Hmmh.

Mirjam: …war so, dass sie mich auf jeden Fall alleine sprechen wollte und im Hotelzimmer, also so niemanden dabei, der Fotos macht. Ich hab sie dann hinterher fotografiert. Und dann hat sie noch gesagt – das hat sie ganz klar und freundlich kommuniziert: Ich möchte mit Abstand zu Ihnen sitzen.

Marco: Hmmh.

Mirjam: Ich hab gesagt: Ja, ist ja auch besser. Nä, wir sind hier mit vielen Menschen unterwegs, und wir sind hier jetzt ne Weile eng zusammen, falls jemand von uns, ohne es zu wissen, nen Virus in sich trägt – wir kennen die Situation alle noch sehr massiv aus den letzten Jahren.

Marco: Ja, Hmm.

Mirjam: Ist ja so ein bisschen Abstand gut. War nur dann für mich als Reporterin die Situation: Normalerweise gibt es so ne eherne Regel unter Journalistinnen und Journalisten, die fürs Radio oder für nen Podcast arbeiten, oder auch fürs Fernsehen, das Mikro eigentlich nicht aus der Hand zu geben. Weil es da so viele Klapper-, Plopp und so stechende, also unangenehme Geräusche gibt.

Marco: Hmmh!

Mirjam: Und weil ich natürlich als Reporterin und Interviewerin auch nicht die Kontrolle über die Situation habe.

Marco: Ja.

Mirjam: Also sind wir bei so einem anderen Punkt, über den ich auch nachgedacht habe: Dass ja viele Menschen im Spektrum bestimmte Dinge immer wieder tun und wiederholen, weil es darum geht, in diesem Chaos namens Welt wenigstens ein kleines wenig, ein klein wenig Kontrolle über bestimmte Bereiche zu haben, da das da etwas verlässlich gleich abläuft.

Marco: Ja, ja.

Mirjam: Das beruhigt. Da fällt mir gerade noch ne andere Begegnung, erinnere mich bitte dran: Stichwort „analog“. Merk dir mal: „analog“.

Marco: Hmmh, ich merk „analog“. Zu dem Stichwort „Kontrolle“ fällt mir eben ein, was ich auch immer wieder auf Vorträgen betone: Je mehr Vorhersehbarkeit – Schrägstrich – Kontrolle Mensch hat, desto sicherer fühlt sich Mensch im Spektrum. Nebenbei gesagt, auch Menschen, die nicht im Spektrum sind, fühlen sich dann sicherer. Aber für die autistischen Menschen ist das, um einiges existenzieller, diese Sicherheit zu haben und eben auch Dinge kontrollieren zu können. Ja. Und das hat ja dann Frau Preißmann für sich dann so organisiert. Und ich glaube deswegen konnte sie auch so… gelassen mit dir sprechen. Weil das Gespräch wirkt ja wirklich sehr entspannt.

Mirjam: Also, hört euch gerne diesen Extrapod an!

Marco: Hm, ja.

Mirjam: Und in unserer Gesprächssituation hat sich diese Ruhe, die sie hatte, natürlich auch auf mich übertragen. Das war sehr angenehm.

Marco: Das ging mir beim Hören ähnlich. Ich hab das irgendwie, weiß nicht irgendwas zu Hause im All… im Haushalt gemacht, und das hat mich sehr, sehr fokussiert und sehr ruhig gemacht, ihr dabei, euch beiden zuzuhören, wie ihr miteinander sprecht. Und ich war auch erstaunt, wie persönlich sie auch, persönliche Einblicke sie auch gegeben hat. Nä? Ich will jetzt nicht allzu viel vorwegnehmen wollen, aber das fand, hat mich auch sehr beeindruckt. Also, dass sie das so von sich… preisgeben konnte, so, nä? Wo du ja dann tatsächlich auch sehr, ähm, ja doch aufdrängende Fragen stelltest – also, nicht aufdrängend im Sinne: Du hast dich ihr aufgedrängt. Sondern, die drängen sich auf, wenn man zuhört und denkt: Okay, wie ist es denn mit dieser oder jener Situation, nä, jetzt sprech ich extra etwas verklausuliert, um nicht zu spoilern (Mirjam lacht), um dass ihr da auch noch mal vielleicht auch überraschende Einblicke habt in dieses Gespräch, dass ihr beide geführt habt. Und ich fand sie sehr, ja, wie soll ich sagen, lebensweise. Also, ich sie sagt ja auch, dass sie sich da in vielem weiterentwickelt hat und in vielem sich auch entspannter fühlt, so und mehr Selbstregulations-Möglichkeiten für sich sieht, um mit Situationen gut umgehen zu können. Ne, Hajo hatte das ja auch in seinem Interview mit dir kurz berichtet, dass er das Glück hat, dass er das Hotel gleich um die Ecke hat und da sich seine Rückzugszeiten nimmt. Und dann vielleicht auch mal auf den ein oder anderen Vortrag verzichtet, und dann vielleicht noch bei der Abend, geselligen Abendrunde dabei zu sein. Also wie, wie das jeder für sich abwägt, nä? Also, wo gebe ich mir jetzt noch mehr Eindrücke, bin dann aber hinterher erschöpfter, weil ich eben mit meinem Kräftehaushalt, Energiehaushalt schauen muss. Und wo nehme ich mich lieber zurück, damit ich später noch Energie hab.

Mirjam: Hajo Seng ist uns beiden ja bekannt, weil er einer der ersten ist die für Autismus gekämpft hat, also für die Wahrnehmung, für die richtige Wahrnehmung, für die empathische Wahrnehmung der autistischen Bedürfnisse, als: Autist. Also, vor 20 Jahren hat der Aspies e.V. mitgegründet. Das ist die große Selbsthilfevereinigung, die auch im Internet zu finden ist, ein großes Forum, wo sich autistische Menschen austauschen können, aber auch Angehörige – es ist allerdings in erster Linie wirklich für die enge Community, also für die autistische Community gedacht. Und daraus sind dann noch ganz viele andere Projekte entstanden: autSocial.

Marco: Ja!

Mirjam: Wo er auch ganz vorne, also wo er mit im Vorstand ist, glaube ich. Also, Hajo Seng ist Mathematiker, hat in Rehabilitationspädagogik promoviert. Und bringt so viel Kompetenz zusammen und so viel Kraft, also das hat er mir ja auch im Gespräch erzählt, dass dieses Engagement für die gemeinsame Sache und für mehr Verständnis in der Gesellschaft, dass ihn das auch mit konstruiert, würde ich es jetzt nennen. Also, dass er dadurch – hatte ich den Eindruck – noch mehr bei sich selber angekommen ist und so seine Aufgabe im Leben gefunden hat.

O-Ton Hajo Seng: Da hatte ich auch mal einen jungen Mann ne zeitlang begleitet, de wollte Rettungssanitäter werden. Und der hat so gut wie gar nicht…. Also, sehr, sehr reduziert gesprochen. Also wirklich so wenig irgendwie, dass selbst in der eigenen Familie so die Vorstellung da war: Der ist irgendwie zurückgeblieben, irgendwie geistig behindert. Ich hab halt schnell gemerkt, das kann‘s irgendwie nicht sein. Weil der einfach so unglaubliche Gedächtnisleistungen und sowas auch hatte, die da überhaupt nicht dazu passten zu so nem Bild. Und was man dann auch bemerkt hat, wenn man sich mal ein bisschen auf ihn eingelassen hatte irgendwie so. Und er hat sich dann irgendwann mal beworben, dann beim Roten Kreuz in Hamburg. Und ich hatte das gar nicht mitbekommen die Bewerbung, nä, das hat er selbstständig halt gemacht. Ich hab das erst dann mitbekommen, als mich dann die damals stellvertretende Geschäftsführerin in unserem Projekte angerufen hatte und gesagt hat: Ja, da war ein junger Mann. Nä, der wollte sich da bewerben bei uns, und der ist da einfach gekommen und hat kein Wort gesagt! Nä, der hat mir einfach nur seine Unterlagen vor den Latz geknallt und ist dann irgendwann einfach aufgestanden und wieder gegangen. Und aber die Unterlagen, das sah ja eigentlich ganz gut aus. Und die Zeugnisse und Praktikum und bla bla bla. Und da war dann auch die Nummer von unserem Projekt drauf. Und da hat sie gesagt: Also, sie wollte einfach mal wissen, was war das jetzt irgendwie? Und was ist da passiert? Und dann hab ich ihr das so ein bisschen erklärt. Und dann hat sie gesagt: Na gut, dann kommen sie doch das nächste Mal zusammen, dann machen wir noch mal ein Bewerbungsgespräch. Das ist mehr als acht Jahre her, und der junge Mann arbeitet immer noch beim Roten Kreuz.

O-Ton Mirjam:  Das ist ja eine unglaubliche Geschichte!

O-Ton Seng: Nä, also so kann’s dann auch kommen. Aber das ist dann wirklich so ne Haltungsfrage. Dass wirklich jemand, dann, sag ich mal, die Leute eben nicht abschreibt und sagt irgendwie: Was ist denn das? Vergessen wir! Sondern einfach sagt: Ja, da will ich dann doch noch mal nachhaken, noch mal nachgucken, dann mal sehen. Also, den Leuten auch n bisschen so ne Chance geben, nä. Und das hat der junge Mann dann auch für sich nutzen können. Und hat er dann auch gemacht und…  ich glaub, die mögen den ganz gerne da, nä. Weil der will. Nä, wenn’s gesetzlich möglich wäre, würde der am liebsten gar keinen Urlaub nehmen. Der ist nie krank, der kommt nie zu spät, und die ganzen Einsätze, die die da machen – der kennt das aus dem F.F. Wirklich jeden Handgriff! Das stimmt bis ins letzte Detail!

Mirjam: Das lässt in mir die Hoffnung keinem, dass solche Gespräche vielleicht auch für Menschen interessant sind, die bislang keine Berührungen mit Autistinnen und Autisten hatten.

Marco: Ja, das ist ein spannender Punkt, den du da ansprichst. Weil, mir ist während der Tagung oder nach der Tagung auch so der Gedanke aufgekommen: Nun haben sich hier 1300 bis 1400 Leute zusammengefunden, um sich da in Vorträgen und in Gesprächsforen und so weiter und in den Ständen, in diesen Messeständen in der Nebenhalle zu treffen und auszutauschen und so weiter. Ähm, das betrifft ja aber, also was wir da besprechen, betrifft ja eigentlich die gesamte Gesellschaft. Und wie gelangt das an die gesamte Gesellschaft? Weil, wir haben ja doch – ich sag mal im größeren Teil, es  gab ja bestimmt auch andere, kontroverse Vortragsthemen – jedenfalls… jetzt hab ich den Faden verloren…

Mirjam: Du wolltest gerade sagen, dass wir da in unserer Community unterwegs waren.

Marco: Ja, son bisschen so in so einer kleinen geschützten Blase. Die wir uns da austauschen und doch einander doch sehr selbst bestätigen und sagen: Ja, stimmt, so sehe ich das auch. Und genau das muss, äh, darf ja aber eben auch an die Menschen, die damit eben wenig Berührung hatten. Wo ich ja inständigst hoffe, dass auch die Menschen, die uns jetzt schon hören im Podcast und ja sowieso schon mit der Thematik Autismus und Alltag sehr vertraut sind, dass eben auch weitergeben, an Menschen, die damit wenig Berührung haben. Weil um die geht es ja! Die auch mit in diese Thematik zu holen, damit da eine Sensibilisierung stattfindet. Und eben auch es irgendwann vielleicht gar keine Rolle mehr spielt, ob Mensch autistisch ist oder nicht.

Mirjam: Ja.

Marco: Und einfach nur klar wird: Ah, okay! Es gibt Menschen, da dürfen wir jene und diese und jene, äh, Wahrnehmungs-Besonderheiten berücksichtigen und andere, die haben das nicht so stark. So, also dass es dann eigentlich eher nur noch als Phänomen zu betrachten ist, dass dann mal mehr mal weniger auftritt. Weil, letztlich haben ja auch wir, die wir mutmaßlich nicht so stark im Spektrum sind, also im Autismus Spektrum, ja die ein oder andere Empfindlichkeit. Und arrangieren uns damit dann auf die Art und Weise, wie es das bei uns gut ist. So wie ich dann in Kaufhallen einfach meine Hörgeräte ausmache, um meine auditiven Empfindlichkeiten ein Stück weit zu kompensieren.

Mirjam: Weiß du, über welchen Moment ich mich am allermeisten gefreut habe?

Marco: Welchen denn?

Mirjam: Als unser Star Gast hier bei mir zu Hause im Heim Studio, wo du nicht dabei warst, weil dich da deine Erkältung und die Bindehautentzündung wirklich rausgekickt haben. Als Ludger Tebartz von Elst…

Marco: Ja!

Mirjam: …in seinem Vortrag gesagt hat: Bei Frau Rosentreter im Podcast. Da musste man dann ein bisschen recherchieren, damit man herausfindet: Wir heißen Spektakulär (Marco lacht) – Eltern erkunden Autismus. Aber er hat uns erwähnt, und zwar in den Zusammenhang, dass ihm bewusst geworden ist, während dieses Gesprächs, dass er ein Entdecker ist.

(Podcast-Studioaufnahme-Ausschnitt)

Ludger Tebartz van Elst: Mir fiel ein: Entdecker. Das ist, finde ich, gar nicht so schlecht.

Mirjam: Schön.

Tebartz van Elst: Also, wenn ich so an die letzten 20 Jahre denke, ich hab in diesem Autismus Themenfeld einfach so, so viele spannende Sachen entdeckt. Spannende Menschen, interessante Menschen, muss man sagen, denn die haben ja besondere Schwierigkeiten, meistens, sonst kämen sie ja gar nicht zu uns. Nicht alle, nicht jeder, der autistisch ist, kommt ja dann selbst zum Psychiater. Die, die gar keine Probleme haben, warum sollten die auch kommen? Aber die, die zu uns kommen, haben natürlich immer besondere Schwierigkeiten, die meistens mit ihren Besonderheiten, strukturellen Besonderheiten zusammenhängen. Aber die haben natürlich ganz oft ganz besondere Lösungsstrategien entwickelt. Nä, das ist schon wirklich interessant das so zu erleben, wie die ihr Leben gemeistert haben, mit welchen Schwierigkeiten sie konfrontiert, waren aber auch welche fantasievollen und kreativen Lösungen sie da gefunden haben. Und insofern hab ich da nicht nur viele interessante und spannende Menschen entdeckt, sondern auch Themen.

(Ende Podcast-Ausschnitt)

Marco: Hmm.

Mirjam: Das fand ich sehr… menschlich, dass Professor Tebartz van Elst, ich nenne jetzt mal seinen Titel mit, der dieses dicke Kompendium…

Marco: Professor Doktor! (lacht)

Mirjam: Professor Doktor Tebartz van Elst, Mediziner, Psychiater, Psychotherapeut und: Philosophie hat er auch noch studiert, und ich glaube auch promoviert.

Marco: Hmm, ja.

Mirjam: Dessen dickes Buch über dir rechts da in meinem Bücherregal liegt: „Autismus-Spektrum-Störungen im Erwachsenenalter“, diesen, dieses Standardwerk, das er inzwischen mit vielen autistischen Autorinnen und Autoren zusammen heraus gibt, also nicht nur mit Fachleuten aus der Wissenschaft, sondern auch mit Fachleuten aus der Wissenschaft und der Erfahrungswelt, die selber Autistinnen und Autisten sind. Er hat uns erwähnt, und hab ich gedacht: Yes! Das ist so ein Moment. Auf den sind vielleicht noch ein paar mehr Ohren und Augen gerichtet. Weil er ja nicht nur zu Autismus arbeitet, sondern auch zu Schizophrenie, weil er bekannt ist als stellvertretender Direktor in Freiburg dort am Uniklinikum.

Marco: Und er ist ja auch in der Forschung mit beteiligt.

Mirjam: In der Forschung. Also ihr werdet die Folge mit ihm als extra Podcast-Folge dann im April hören können. Und dafür bin ich dankbar, dass er, dass er zu uns gekommen ist und sich die Zeit genommen hat, mit uns beiden, mit dem Therapeuten und der Journalistin, den beiden Eltern aus Bremen, ein Gespräch aufzunehmen. Also, er war ja bereit dazu, auch mit dir zu sprechen (lacht). Tschuldigung, ich will da nicht drauf rumreiten, aber…

Marco: Aber gerade weil Tebartz van Elst, der ja das – um das vielleicht ganz kurz vorwegzunehmen, weil mich das eben sehr, sehr schon in Berlin in dem Vortrag fasziniert hat, der im September letzten Jahres stattfand – er diesen therapeutischen Ansatz in diesem so genannten SPZ-Modell sieht, also…

Mirjam: Struktur…

Marco: Diese Struktur, Problem und:

Marco und Mirjam:(synchron)Zustand. Er sagt: Das Strukturelle ist ja das, was eigentlich beständig ist, was nicht zu ändern ist. Damit meint er dann eben auch die strukturelle Verfassung im Autismus Spektrum zu sein, die bestenfalls dann eben zu akzeptieren ist, so wie sie ist. Und die Zustände sind aber, sind zeitlich begrenzt, die haben einen Anfang und ein Ende. Und daran gilt es eben zu arbeiten, wie auch an den Problemen, die dann aus dieser Kopplung entstehen kann. Das ist eigentlich unser therapeutischer Fokus.

Mirjam: Also herausfordernde, belastende Zustände…

Marco: Ja, richtig.

Mirjam: Und Probleme, die aus dieser Überforderung oder der Überlastung heraus entstehen.

Marco: ja, also wir arbeiten eben nicht daran, die Struktur, die Persönlichkeit des Menschen zu verändern, sondern wir arbeiten daran zu gucken: Wie können wir die Zustände beeinflussen, so dass es sich besser anfühlt. Und wie können wir mit Problemen umgehen, die im Alltag daraus entstehen. Und das finde ich noch mal wichtig, dass so anzuschauen, weil wir auch im Elternkreis immer wieder mal von Eltern die Sorge gehört haben, dass ihr Kind dort verfälscht werden könnte oder verändert werden könnte und es seine Persönlichkeit verlieren könnte. Und das ist ja wirklich, ähm, ne irrige Annahme, und da müssen wir, glaube ich, immer mal wieder für Aufklärung sorgen. Und das kann vielleicht mit diesem SPZ-Modell, das dann ja wahrscheinlich in eurem Gespräch noch mal mehr ausgeführt wird, noch mal deutlicher wird: Worum kann es eben in dieser Therapie gehen?

Mirjam: Kommen wir noch einmal kurz zurück in den Saal, zu dieser Situation, die ich dir noch versprochen habe oder euch versprochen habe zu erzählen.

Marco: Analog!

Mirjam: Genau, analog. Ich war auf der Tagung auf ein Grüppchen gestoßen. Also, da waren mehrere junge Erwachsene mit Begleiterinnen unterwegs. Und dann bin ich auf einen zugesteuert, der gerade irgendwie aufmerksam wirkte, also in meine Richtung guckte, da habe ich gedacht, den kann ich mal ansprechen. Und ich hab ihn gefragt: Kann ich, ich mach hier ein Interview oder ich mach viele kleine Interviews, Umfragen für unseren Podcast. Ob ich ihm auch mal eine Frage stellen könnte. Wär auch nicht viel. Vielleicht bleibt‘s auch bei einer. Und er sagte: Wofür ist das? Hab ich ihm erklärt: Für einen Podcast. Und dann sagte er: Nee, das ist digital, da mache ich nicht mit. Ich bin nur analog (Marco schmunzelt). Hat er für sich entschieden, nur analog, kein Computer, kein Smartphone. Und dann habe ich nachgefragt, also off record, sagt man so, Pff, also ich hab das Mikro nicht angehabt dabei – obwohl ich die Situation eigentlich gerne dokumentiert hätte, aber ich kann’s euch ja erzählen – und dann hab ich gefragt: Warum? Also analog? Nee, er braucht alles auf CD. Hab ich gesagt: Unseren Podcast gibt es auch zum Nachlesen. Nee…

Marco: Ja. CD ist nebenbei gesagt auch digital!

Mirjam: …Nee, lesen… ja, aber, nee, nee, was er meint. Also, ich hab dann gesagt: ich will nicht spitzfindig sein, ich hab das auch bemerkt, alsokonnte ich mir nicht verkneifen. Und dann war aber sein Argument, und das konnte ich dann gut nachvollziehen: Er möchte das so oft hören, wie er will, und also er nimmt regelrecht CDs in die Hand, so, das höre ich mir jetzt an, wieder und wieder. Also wieder diese Wiederholung. Und solange er mit der CD pfleglich umgeht – und sich vielleicht noch Sicherungskopie macht, wobei das geht ja auch nur digital – ist das dann ja regelrecht ein analoges Medium. Also es kann dann benutzt werden, wann er es möchte,

Marco: ja, ja.

Mirjam: Fand ich interessant als Aspekt. Und als ich gesagt hab: Nachlesen kann man’s auch. Nee, er nimmt Informationen auf diese Weise auf.

Marco: Auditiv.

Mirjam: Auditiv. Er hat früher ganz viele Wissenschafts-CDs und so in der Stadtbibliothek ausgeliehen. Und er ist traurig, dass es jetzt diese ganzen Podcasts gibt. Das ist alles so unübersichtlich. Ein interessantes Gespräch am Rande. Leider wollte er dann nicht ins Mikro sprechen, und ich hab ihm nur unsere Visitenkarte gegeben.

Marco: Aber finde ich auch nachvollziehbar. Weil, das ist ja auch der Grund, warum Menschen auch heute noch Vinylplatten sammeln – neben CDs, wobei Vinylplatten ist wirklich dann analog. Weil, es ist physisch ist es haptisch und mal abgesehen davon, dass wir natürlich auch Strom brauchen für einen Plattenspieler, wir sind dann nicht darauf angewiesen, dass das, was dort  festgehalten wurde an Musik oder an Gespräch, nicht davon abhängig ist, ob das Internet funktioniert. Weil, wenn mal irgendwann Stromausfall ist – gut dann geht der Plattenspieler auch nicht, könnte man vielleicht noch ein Leiergrammophon nehmen, egal – aber diese physischen Tonträger, wie auch diese CDs, die machen uns ja unabhängig von der Verfügbarkeit im Internet, nä? Wir wissen ja nicht, wie lange ist so ein Stream verfügbar? Also ein zur Verfügung gestelltes Tondokument.

Mirjam: Ich hab ihm dann natürlich angeboten, extra für ihn die Folge, wo er auch zu hören ist, auf CD zu brennen und zu schicken. Also, mal gucken. Vielleicht meldet er sich ja noch bei uns und kommt dann nachträglich mal zu uns.

Marco: Das könnte natürlich noch mal Begehrlichkeiten wecken, dass dann…

Mirjam: Nein! Ich hab nichts gesagt! Ich hab nichts gesagt! (lacht)

Marco: Wir sollten doch bitte dann unseren Podcast auf CD veröffentlichen (beide lachen)

Mirjam: Ich bin kein Produktionsstudio. Ich bin nur Mirjam Rosentreter, Journalistin, Podcasterin im Heimstudio in Bremen. Ähm.
So, wir müssen mal langsam zum Ende kommen! Sonst ist unser Zustand heute zu sehr ausgedehnt (lacht)

Marco: Ja.

Mirjam: …und überfordert dann vielleicht die Aufmerksamkeitsspanne von uns beiden hier und auch von denen, die uns zuhören. Aber…

Marco: Wär möglich.

Mirjam: Ich wollte ja auch noch von dem Abend erzählen, also von diesem geselligen Abend. Da war dann ein tolles Buffet aufgebaut, und ich bin mit verschiedensten Menschen ins Gespräch gekommen. Und, was ich super fand, so quer über den Tisch hinweg wurde ich dann gefragt: Kann es sein, dass du auch im Spektrum bist?

Marco: Aha.

Mirjam: Ich hab gesagt: Nein, soweit ich weiß, nicht. Hab mich aber bedankt, weil ich, ähm, weil ich dachte, als Eltern sind wir oft Mitautistinnen und-autisten so im Alltag, weil wir so eng, weil wir so eng mit den Kindern zusammenleben.

Marco: Oder, manche nennen es ja auch co-autistisch.

Mirjam: Co-autistisch.

Marco: Ja, weil, ich glaub, das ist ja immer etwas, wo wir ein bisschen achtsam sein dürfen, wenn uns irgendwie ein autistischer Anteil bescheinigt wird oder manche andere sich das bescheinigen, weil sie so ordnungsliebend sind. Und ich denke immer so: Nee, bloß weil du jetzt deinen Schrank beschriftest, bist du noch lange nicht autistisch.

Mirjam: Und, was meinst du, genau diese Diskussion kam dann auch unter uns in Gang, genau diese, diese Grenzen also wo, also über Grenzüberschreitungen und wo man auch wirklich mit Respekt damit umgehen sollte, wo eben Dinge anders sind und demnach auch mehr Belastung erzeugen oder andere, einfach andere Hilfen auch nötig machen im Alltag. Also war ein sehr schöner Ausklang dieser ganzen Veranstaltung und hat mir noch mal gezeigt, wie nah wir waren. Was ist bei dir? Also was nimmst du mit von der Tagung?

Marco: Ja, so ein bisschen diesen Abschluss-Vortrag von Peter Rödler, der noch mal so diesen, äh, überraschenden Aspekt aufmachte: Eigentlich ist das Spektrum so weit zu denken, dass da alle drin sind. Also, eben auch die nicht-autistischen Menschen, weil man dann vielleicht sich noch mal eher sehr individuell darüber Gedanken machen kann: Welche Einschränkung oder welche Ressourcen hab ich eigentlich? Also unabhängig davon, ob ich jetzt mehr im autistischen Spektrum bin oder nicht. Wo man dann vielleicht auch noch mal diese Diskussion um: Wie autistisch bin ich eigentlich, wenn ich gerne  meine Dinge sortiert irgendwo einordne oder vielleicht bestimmte vertiefte Interessen habt, die dann vielleicht im Autismus-Spektrum als Spezial-Interesse betitelt würden. Die geben mir ja auch als Nicht-Autisten eine Sicherheit, weil ich mich wohl fühle, mit diesem Thema zu beschäftigen. Für Menschen im Spektrum mag es dann nochmal existenziell mehr Sicherheit vermitteln. Aber so ist es dann in dieser Vielfältigkeit: Jeder Mensch hat ja dann seine bestimmten Ressourcen und Schwierigkeiten, mit denen jeder auf seine Weise individuell umzugehen hat. Nä, wo wir ja auch wissen, ist ja auch immer wieder zitiert worden: Wenn man einen Autisten kenne, würde man nur auch nur den einen kennen. Man kann das eben nicht verallgemeinern, und das ist ja bei den Menschen sämtlichst so! Du kennst einen Menschen, und jeder Mensch bringt ne andere Charakteristik, ne andere Persönlichkeit, um in Worten von Tebartz van Elst zu sprechen, eine „eigene Struktur“ mit, die ist individuell und genauso wie dann auch seine Probleme und Zustände dann individuell sich auswirken.  Und jeder damit auch genauso individuell seinen Umgang zu finden hat.

Mirjam: (auf Peter Rödler bezogen) Echt auch einer der Vorkämpfer für Pädagogik, Heilpädagogik, und er nennt es immer: Pädagogik, die den Rest mitnimmt. Also für alle, nä.

Marco: Und in dem Gedanken, wenn man dann Inklusion noch mal ganz, ganz weit offen denkt, hat es dann eher wieder im globalen Sinn mit Humanismus zu tun. Es geht um Menschen und um Umgang miteinander, um Verstehen voneinander, sich verstehen wollen und nicht sofort in Bewertung und Urteile sich fest…, in Urteilen sich festzulegen. Dass er das so aufgemacht hat und fast schon diesen Spektrums-Begriff noch mal anders betrachtet oder durchbrochen hat. Nä? So, weil sonst ja immer auf dieses so genannte Autismus-Spektrum-Störung, also auch dieses Wort „Störung“ kann man ja mal wieder noch mal von verschiedenen Seiten betrachten. Aber das können wir vielleicht andernmal vertiefen. Das war für mich noch mal ein guter Ausklang. Also, auch mit seiner eigenen Verpeiltheit, die er da hatte mit den Mikros, dass er dann mit seinen Gestikulationen dann ständig an die Mikros stieß und merkte: Die sind mir im Weg! Und sie wegbog, um dann festzustellen: Ach nee, dann bin ich ja nicht mehr zu hören! (Mirjam lacht) Mist! Und wieder zurückbog und dann irgendwie guckte: Okay, wie kann ich jetzt meine, mit meinen Gesten umgehen? (lacht) Die einfach mal zu ihm gehören. Nä? Das macht seine Struktur aus.

Atmo-O-Ton Prof. Dr. Peter Rödler: …und ich muss also als Verhaltenstherapeut, der sich am natural teaching orientiert, muss den Eigensinn, die Interessen des Autisten soweit kennen und herausfinden, dass ich ihm oder ihr eine Situation anbiete, die mit ihrem Interesse wirksam werden kann, wenn sie das Probl… (stößt ans Mikro) Na!!! (leises Gelächter)… wenn sie das Problem löst. Und das ist dann natürlich spannend, weil dann die Problemlösung selbst der Verstärker ist, und nicht sozusagen nebendran steht. (Applaus) Und das ist genau das, was bei uns auch ist. Und das ist aber, nebenbei, genau das, was den Schülern heut fehlt… (Ausblendung)

Marco: Das ist einfach ein, ein freudig gestikulierender Mensch, der dann auch gern – wie vielleicht auch ich – auch gern dann mal abschweift und hier da noch mal einen anderen Faden weiterverfolgt. Ja, ähm.

Mirjam: Danke, Marco für heute. Ich lade euch alle ein: Taucht ein.

Marco: Ja!

Mirjam: Wir haben, ich hab euch… die Interviews schneide ich euch, also produziere sie so, dass man trotz Nebengeräuschen und so weiter sie möglichst angenehm hören kann. Manche sind vielleicht etwas herausfordernd, weil ja wirklich viele Menschen unterwegs waren und man dann doch sehr viel Geklapper und Gemurmel und so weiter im Hintergrund hört. Aber in den nächsten Tagen werden wir hier bei spektakulär, auf unser Homepage und auf den Kanälen eurer Wahl, wo ihr uns hört, nach und nach die ganzen Interviews veröffentlichen. Dann könnt ihr euch noch mehr ein eigenes Bild machen und tolle Menschen kennenlernen.

Marco: Ja.

Mirjam: Vielen Dank fürs Zuhören. Danke dir Marco für den entspannten, ausführlichen Rückblick auf diese drei vollen Tage.

Marco: Ja, und Danke auch dir für dieses unermüdliche Menschen-Treffen und interviewen. Vielen Dank dafür. Ich freu mich auf die ganzen Sachen, die ich noch zu hören bekomme, die ich noch nicht gehört hab. Danke.

Mirjam: Danke, Marco. Ich hab jetzt für euch und für dich noch ein paar letzte Töne mitgebracht, die ich so am Schluss gesammelt habe: Eine Frau, die erst vor kurzem ihre Diagnose erhalten hat; eine Frau, die vor kurzem eine psychotherapeutische Praxis – auch für Kassenpatienten übrigens in Oldenburg! – eröffnet hat; und dann habe ich einfach noch die nette Servicekraft gefragt, die an dem Abend unseren Tisch bedient hat.

Atmo-O-Töne Umfrage

O-Ton Mirjam: Darf ich Ihnen eine Frage stellen? Was haben Sie für sich persönlich für sich gelernt, was Sie in Ihren Alltag mitnehmen und da umsetzen wollen?

O-Ton Sarah Hemer: Fachlich kannte ich schon relativ viel. Neu ist, das ich selber Autismus hab und endlich auch mal Kontakt zu Leuten, und mich jetzt am Ende nach dem Austausch auch traue, mit anderen Leuten drüber zu sprechen und mich auszutauschen. Und jetzt sage: Ja, es gibt Wege weiter. Es gibt Hilfe. Oder man nimmt selber  Aktivität auf. Ob im Alltag die Kraft dafür langt, ist eine ganz andere Frage. Aber die Motivation, dass man denkt: Ja, es gibt Leute, die es verstehen, es gibt Möglichkeiten was zu machen. Das werde ich mitnehmen. Und das ist eigentlich mehr als ich mir erhofft hatte. Das ist super.

O-Ton Mirjam: Vielen Dank.

O-Ton Katharina Brandt: Noch mal ganz viel mehr die Sicht, der, ja, Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung, diese Sicht mehr mit einzubeziehen, in die Arbeit noch mehr partizipativ dareinzuarbeiten. Weil wir häufig im Fach, in der Fachwelt von bestimmten Dingen ausgehend, die nachher in der Wahrnehmung sich ganz anders abbilden. Und das kam hier in mehreren Seminaren deutlich hervor. Dass es doch noch mal um diese Wahrnehmung der Menschen eigentlich geht und dass das vielleicht mehr Menschen mit Autismus da auch mitgestalten, partizipieren und die Themen auch vielleicht noch mal maßgeblich mehr mitbestimmen dürfen. Ich würde es schön finden, wenn diese Menschen noch mehr mit einbezogen würden. So war mein Eindruck hier. (lacht)

O-Ton Mirjam: Herzlichen Dank. Wir hatten doch gestern so nett Kontakt, als sie uns am Tisch bedient haben.

O-Ton Petra Schütte: Ja! (Geschirrklirren)

O-Ton Mirjam: Haben Sie mit dem Thema Autismus privat zu tun?

O-Ton Petra Schütte: Aber Sie haben ja so ein bisschen vielleicht ja was mitgekriegt.

O-Ton Petra Schütte: Ja!

O-Ton Mirjam: Was nehmen Sie für sich mit in den Alltag, was Sie hier gelernt haben?

O-Ton Petra Schütte: Also ich nehme mit, dass es über Autismus so gar nicht viel gibt über die Medien, was ich sehr schade finde. Ich finde, ich habe hier einen ganzen Haufen sehr, sehr nette Menschen kennengelernt. Und ich habe den Eindruck, dass jeder einzelne ein riesengroßes Herz hat. Ich find‘s schade, dass über Autismus so wenig gesprochen wird. Also, ich bin froh, dass ich hier dabei sein durfte. Es war eine ganz, ganz tolle Begegnung!

Atmo-O-Ton: (Schütte fährt den Geschirrwagen langsam nach hinten raus)

Mirjam: Gut, also dann: Macht’s gut! Und tschüss! Und bis zum nächsten Podcast, Kurzpod oder Extrapod!

Marco: Ja, tschüss! Und bis bald!

und das war spektakulär erkunden. Autismus findest du in den Shows auf unserer Seite spektakulär gefördert durch die Aktion Match

Outro

Musik: (Joss Peach: Cherry On The Cake, lizensiert durch sonoton.music)

Sprecher: Das war Spektakulär – Eltern erkunden Autismus

Mirjam: Unsere Kontaktdaten und alle Infos zu unseren Folgen findest du in den Shownotes auf unserer Seite spektrakulaer.de.

Sprecher: Der Podcast aus dem Martinsclub Club Bremen.

Musik-Ende

Sprecher: Gefördert durch die Aktion Mensch

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